Es gibt sie. Diese Pferde mit den leeren Augen. Sie sind überall unter uns und werden als die „braven“, die „guten“ Pferde bezeichnet. Selten, dass sie die Anweisungen des Reiters bzw. des Menschen im Allgemeinen nicht befolgen.
Sie reagieren, jedoch agieren sie nicht. Erlernte Hilflosigkeit
Erlernte Hilflosigkeit nennen wir das. Pferde, die gelernt haben, dass der Mensch immer Recht hat, egal was er tut. Man tut, was der Mensch sagt, eine andere Option gibt es nicht. Diese Pferde funktionieren. Jedoch haben sie sich selbst und ihr Inneres aufgegeben. Sie fristen ihr Dasein unter uns, stellen keine Fragen, antworten immer richtig, wenn sie unsere Forderungen verstehen. Akzeptieren Konsequenzen auf falsche Antworten regungslos.
Ich weiß nicht, was oder wie viel passieren muss, um ein Pferd so sehr in sich kehren zu lassen. Zum Glück. Ich möchte nicht zu den Menschen gehören, die aus Tieren funktionelle Maschinen erzeugen. Vermutlich könnte ich das gar nicht. Zugegeben ist der Umgang mit solchen Pferden aber nicht einfach für mich. Diese Pferde erwarten nichts. Gar nichts. Sie freuen sich nicht, wenn du kommst. Sie freuen sich nicht über die Möhre, die du bringst. Sie genießen es nicht, wenn du sie kraulst. Vermutlich verstehen diese Pferde einfach nicht, dass du ihnen Gutes tun willst.
Das Lebenselixier der Pferde
Übrigens muss es nicht immer die Art des Umgangs sein, die diese Hilflosigkeit in Pferden erzeugt. Pferde lebten früher in endlosen Weiten. Heute werden viele von ihnen in kleinen, dunklen Boxen gehalten, ohne dass sie je was von der Welt draußen sehen. Kein Sonnenlicht, keine Wiesen, keine Horizonte. Auch dieser Umstand, also der Blick auf kahle Wände, das eingesperrt sein, können diese Hilflosigkeit, das Aufgeben des Pferdes auslösen. Was aber bleibt ihm auch anderes übrig? Es kann nicht sagen „Bitte zeig mir die Welt!“ oder „Mensch, wie sieht die Sonne aus?“ oder „Weißt du, ich würde so gerne einmal mit Freunden auf einer Wiese spielen und in die Ferne blicken.“ Auch kann ein Verlust diesen Zustand auslösen.
Aus dem Leben der Ponys
Oft beobachte ich meine Ponys. Der Herr steht gerne Stunden lang am Weidezaun und beobachtet die anderen Pferde, er blickt in die Ferne, sucht sich ein sonniges Plätzchen und genießt die Sonnenstrahlen auf seinem Fell. Der Kleine hingegen nutzt jede Gelegenheit, um rumzutollen und zu galoppieren, was seine Beinchen hergeben. Ich denke, das und noch viele andere kleine Dinge sind ein Teil des Lebenselixiers unserer Pferde. Man mag sich nun die Pferdeseele vorstellen. Wie mang sie wohl aussehen, wenn das alles fehlt? Herr Pony hatte in den Letzten Jahren ja auch immer viel an seiner Vergangenheit zu kauen. Angelika Hutmacher hat eine Familienaufstellung mit uns gemacht und für viel mehr Verständnis in mir gesorgt.
Erkennst du die leeren Augen?
Ich habe ein Pferd kennen gelernt. Eines mit leeren Augen. Ich kann nur vermuten, was dieses Pferd erfahren hat. Zugegeben, praktisch und unkompliziert, aber sieht man es an, packt meine eigene Lebensfreude mein Lächeln ein und verschwindet leise in einem dunklen Loch. Nun steh ich vor dem Pferd, weiß, dass ich es nicht anbinden muss, es würde sowieso nicht weg gehen. Wohin auch? Es denkt, dass nirgends Gutes auf es wartet. Es freut sich auf nichts. Es hat keine Sehnsüchte – hat es vielleicht, aber es hat die Hoffnung aufgegeben, dass Sehnsüchte erfüllt werden. Es kann nicht genießen, dass es jetzt eine Herde, eine Weide, liebe Menschen um sich hat. Vermutlich wartet es immer noch drauf, dass die „Guten alten Zeiten“ zurück kommen, und es die Bestätigung bekommt, dass der Mensch immer Recht hat. Auch wichtig an dieser Stelle – So drückt ein Pferd seinen Schmerz aus.
Einfach mal nichts erwarten…
Solch einem Pferd zu zeigen, dass es eine gute, freudige, lebendigen Welt gibt, ist nicht einfach. Manchmal hat man keinen Erfolg, manchmal nur ganz kleine. Ein gespitztes Ohr, für einen ganz kurzen Moment. Ein Blitzen in den Augen. Ein aktives Naseschnubbeln an Menschenfingern. Der Weg ist nicht leicht. Nicht fürs Pferd, nicht für den weisenden Menschen. Echte Freude und Sanftmut an diese Pferde zu vermitteln, erwartungslose Momente zu schaffen, dem Pferd Gutes tun – und dabei um jede kleine Reaktion dankbar sein.
So sieht Lebensfreude aus! Foto: Ulli Bruckmüller
Eine Idee ohne Plan
Ich stecke eine Bürste in die rechte Jackentasche, ein paar Kekse in die Linke und wandere los. Ich möchte mit dem Pferd zusammensein. Ihm Gutes tun und im Gegenzug nichts erwarten. Nicht, dass es mit mir von der Weide kommt, nicht dass es meinen Kommandos folge leistet. Ich will es bürsten. Seinetwegen. Das Pferd sieht mich an. Es fragt sich wohl, was jetzt kommt und was ich von ihm möchte. Es reiten? Es longieren? „Nein.“ sag ich. Nichts von alle dem. Ich will nur bei dir sein. Das Pferd ist verunsichert, weicht meiner Bürste aus. Gut, kein Bürsten. Ich setze mich vor das Pferd auf den Boden und tue nichts. Das Pferd wirkt erleichtert, senkt den Kopf zum grasen.
Zeig mir, was du möchtest.
Ein anderes Pferd kommt an und möchte von mir unterhalten werden. Eine gute Gelegenheit für mich, dem anderen zu zeigen, dass ich wirklich nichts möchte. Also kraule ich den alten Wallach und beobachte, was das Pferd tut. Nach einer Weile gehe ich wieder auf das Pferd zu. Es beschnüffelt mich sanft. Ich setze mich wieder. Es senkt den Kopf und lässt sich kraulen. Ich hole einen Keks aus der Jacke und schiebe ihn ins Pferdemäulchen. Das Fragezeichen war nett anzusehen, es kaut genüsslich und fragt anschließend sogar nach Nachschub.
Antworte nicht, stelle Fragen.
Ich stehe vom Boden auf und wandere ein paar Schritte die Weide hoch. Nach einigem Zögern folgt das Pferd. Ich halte an und warte, bis es neben mich kommt. Dann versuche ich, es zu kraulen. Alles gut, es spitzt die Ohren und achtet genau drauf, was ich mache. Ich wage einen Schritt nach vorne. Es folgt. Ich gehe am Pferdekörper entlang ein paar Schritte rückwärts, das Pferd passt sich an und schreitet ebenfalls zurück. Ich kraule wieder und erleichtere die linke Jackentasche um einen weiteren Keks. Dabei ist es mir einerlei, ob und wie das Pferd antwortet. Es soll spüren, dass an meine Bewegungen keine Erwartungen geknüpft sind. Es soll einfach versuchen, den Moment zu genießen und irgendwas aus eigenem Interesse tun. Ich habe nicht verlangt, dass es mir folgen soll. Es war seine Entscheidung. Und darum geht es. Das Pferd hat eine eigene Entscheidung getroffen. Es hat entschieden, mit mir zu kommen, weil es das wollte – nicht weil ich es darum gebeten hatte.
Wir tanzten, wir lachten, wir genossen die Zeit
Wir fingen an, uns zu bewegen. Ich spiegle das Pferd, das Pferd spiegelt mich. Ich stecke es mit meiner Lebensfreude an, mein Blitzen in den Augen wiederholt sich in seinen. Wir schwingen nach rechts, schwingen nach links, machen einen Schritt nach vorne und dann zwei zurück. Gespannt auf meine nächste Bewegung mustert es mich, ich beobachte es und die in ihm aufsteigende Neugierde. Kennt ihr solche Momente? Ich lächle auch jetzt wieder, wenn ich diesen Text verfasse. Es tut im Herzen gut, anderen gut zu tun. Ich setze mich wieder auf den Boden, das Pferd senkt den Kopf. Nun sind wir einfach gemeinsam am selben Fleck Erde und verbringen unsere Zeit. Das Pferd beginnt zu grasen, ich beobachte es noch ein wenig, verabschiede mich und mache mich dann langsam wieder auf den Weg zurück zum Stall. Ohne das Pferd, ohne Erwartungen.
Ein langer Weg zum Happy End
Das Pferd aus der Geschichte hat das Glück, in die Hände einer liebevollen Besitzerin gewandert zu sein, die alles für die Freundschaft und das Wohlergehen dieses Pferdes tut. Sie wiederum kann sich glücklich schätzen, an dieses Pferd geraten zu sein. Gerade vor ein paar Tagen bei einem spontanen Training, hat sich das Pferd dazu entschieden, lieber mit seiner Besitzerin zu arbeiten, als mit mir. Es war interessiert, gespannt und hat sich freudig an den Übungen beteiligt. Ich wünsche allen Pferden da draußen so tolle Menschenpartner und gute Herzen.
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1 Comment
Kerstin
atDanke…..
Für den Artikel, auch wenn ich hier weinend am Computer saß und ihn las. Weinend, weil ich von zuuuuuuuuu vielen Pferden weiß, denen es so geht. Noch mehr Tränen, weil ich um die vielen Menschen weiß, die diesen Artikel lesen und im Leben nicht verstehen warden. Weil ihnen das Gespür für das Tier fehlt und das Pferd schließlich zu funktionieren hat und selber nicht zu denken, zu fühlen, zu leben hat.
Danke, daß es offensichtlich noch Menschen gibt, die anders denken!!!!