… schlechte Eigenschaften hat es aber auch nicht. Habt ihr mal darüber nachgedacht, woher diese Wertungen der Eigenschaften unserer Pferde kommen? Genau. Sie entstehen in unserem Kopf, oder in den Köpfen anderer. Wir übernehmen diese Ideen dann und peng – so schnell ist unser Pferd abgestempelt und einkategorisiert.
Welche Eigenschaften hat dein Pferd?
Wenn ihr genauer darüber nachdenkt, welche Eigenschaften eure Pferde haben, wie viele gute und wie viele schlechte zählt ihr? Und warum empfindet ihr diese als gut oder schlecht?
Was würde passieren, wenn wir kurz mal eine Pause einlegen und die Wertungen „Gut“ und „Schlecht“ außen vor lassen. Dann hat unser Pferd zwar noch Eigenschaften, nicht aber gute oder schlechte. Wie fühlt sich das an für euch? Wie mag es sich für unser Pferd anfühlen, von uns bewertet zu werden, und wie würde es sich fühlen, wenn diese Wertungen weg fallen, wir unsere Pferde schätzen für all das, was sie sind und was sie ausmacht? Einfach weil sie sind, wie sie sind. Individuen mit ganz exklusivem Charakter und Eigenschaften, wie sie insgesamt kein anderes, kein zweites Pferd auf dieser Welt in dieser Konstellation wieder haben wird.
Eigenschaften sind in die Wiege gelegt und auch nicht.
Manche Eigenschaften entstehen durch gezielte Züchtung, sei das das Exterieur des Pferdes oder sogar Charakterzüge, die erwünscht sind und die Eltern eures Pferdes entsprechend zusammengefügt wurden. Andere Eigenschaften entstehen aus Erfahrungen, die euer Pferd im Laufe seines Lebens gesammelt hat. Nur wenige von uns haben vom Fohlenalter des Pferdes Kontakt zu ihm und können genau nachvollziehen, was es bisher erlebt hat, wen es getroffen hat, wie es ausgebildet wurde und ob es stets in einem sicheren Herdenverband leben konnte.
Das Pferd kann nicht entsprechen!
Unsere Pferde haben es nicht in der Hand, uns und unseren Wünschen immer zu entsprechen. Was wenn manche ihrer Eigenschaften einem Hilfeschrei nahe kommen, den wir aufgrund unserer gewohnten Wertung und Bewertung nicht in der Lage sind, zu sehen? Was wenn wir zu sehr mit uns selbst und unseren Erwartungen beschäftigt sind, um zu erkennen, was unser Pferd sich wünscht? Was wenn es uns etwas sagen will und wir zu verbohrt sind zuzuhören.
Wir alle sind nicht frei davon, zu werten.
Hier könnte ich jetzt viele Beispiele aufzählen. Auch ich habe gute und schlechte Eigenschaften im Kopf, mit denen ich locker in der Lage wäre, um mich zu werfen und all die Pferde, die ich bisher getroffen habe, auf ein kategorisierendes Schachbrett stellen könnte, nur um aufzuzeigen, wie ich werte.
Das Pferd aber, jedes einzelne, kann mit unseren Werten nunmal nicht umgehen, es kann diese nicht verstehen. Es weiß nicht, dass es schlecht ist, wenn es zu wenig Raumgriff im Gang hat. Es weiß auch nicht, dass es eigentlich höher springen müsste, um zu genügen. Sehr wohl aber fühlt es unsere Unzufriedenheit. Genauso wie es unsere Freude, unseren Schmerz, unsere Enttäuschung und unser Wohlwollen spüren kann.
Wie gehst du mit dir selbst um?
Wie unzufrieden seid ihr mit euch selbst? Wieviele schlechte Eigenschaften schreibt ihr euch zu? Und für wie viele Gute ist dann noch platz? Was passiert in euch, wenn ihr auch hier die Wertungen weglasst und euch nur auf eure Eigenschaften konzentriert? Ohne sie als gut oder schlecht benennen zu wollen? Fühlt ihr euch nicht gleich viel entspannter, vielleicht sogar verstandener? Was, wenn man euch so nehmen könnte, wie ihr seid, mit all euren Eigenschaften? Und wenn man wertschätzen könnte, dass ihr genau so seid, wie ihr seid? Ein schöner Gedanke, oder?
Wachse an den Eigenschaften deines Pferdes
Auch wenn es kitschig klingt, ich dachte früher oft daran, wie viele schlechte Eigenschaften mein Herr Pony doch hat. Und warum ich mir ausgerechnet dieses Biest ausgesucht hatte, um sein Leben bei mir zu verbringen. Aber und das ist ein sehr großes ABER: Er ist nur das Ergebnis seiner Erfahrungen und seiner Gene. Bzw. er ist das Ergebnis seiner Erfahrungen und seiner Gene, das alles ist es, was ihn einzigartig macht und ich bin dieser eine glückliche Mensch, der diesen einzigartigen Charakter kennen lernen darf. Mit und an ihm wachsen darf. Durch seine Eigenschaften, egal ob nun schlechte oder gute, wachse ich selbst. Mein Horizont wird erweitert, ich erlebe Erfahrungen, von denen ich nicht mal im Traum erwartet hätte, sie jemals zu sammeln.
Und nur so bin ich in der Lage, mein Pony immer besser kennen zu lernen und gemeinsam mit ihm zu wachsen. Zugegeben, ich hatte ihn als Reitpony gekauft. Klar wollte ich reiten. Aber hey, ich weiß jetzt, dass man so viel mehr mit Pferden erleben kann. Ich habe einen Freund zur Seite, der mich nicht wertet. Der mich genau so nimmt, wie ich bin. Und das schräge daran: Er akzeptiert mich so wie ich bin. Und das, obwohl ich ihn lange Zeit nicht akzeptieren konnte, ihn ändern wollte, so dass er meinen Vorstellungen entspricht. Diesen Anspruch an mich hatte er nie und wird er nicht haben.
Wertungen und die Vorzüge der Eigenschaften
Wir können von unseren Pferden so viel lernen. Akzeptanz und das frei sein von Werten sind nur ein Anfang auf der großen, interessanten, schönen Reise zum wahren Freund Pferd. Nun ist es an uns, unser Herz zu öffnen.
Mein Pferd hat Angst vor Wasser? Was, wenn es eigentlich drum bittet, dass ihm geholfen wird und ihr mit all eurer Sänfte ihm aus der Angst helfen könnt?
Das Pferd geht nicht vom Stall weg? Wie wäre es, wenn ihr euch die Zeit nehmen könntet, um ihm behutsam zu zeigen, dass die große weite Welt viel mehr zu bieten hat als Gefahren?
Mein Pferd ist störrisch? Was, wenn es möchte, dass ihr Vertrauen zu ihm aufbaut und es dementsprechend in der Lage sein könnte, auf euch zu vertrauen?
Mein Pferd springt nicht hoch genug? Was, wenn seine Talente in anderen Bereichen liegen, die ihr bisher einfach nicht sehen konntet?
… um nur ein paar Eigenschaften zu nennen, die eigentlich gut und förderlich sind, oder eben aus Erfahrungen entstanden sind, die das Pferd nur mit eurer Hilfe, eurer Weitsicht in der Lage ist loszuwerden. Ich wünsche euch und euren Pferden viel Freude an sowohl euren als auch den Eigenschaften eurer Pferde!
Vielleicht wollt ihr an einem kleinen Experiment teilnehmen und euch dabei beobachten, wie oft ihr zu euren Pferden „NEIN“ sagt?
Noch ein kleiner Tipp zum Schluss, weil ich so begeistert bin von der Idee Tiere zu unterstützen und die Bändchen ausserdem absolut gerne trage, Charityarmbänder von Weltfreund!* (Ich wollt euch ein Bild anfügen, das will mein Laptop aber grade nicht, drückt die Daumen, vielleicht klappt’s später!)
5 Comments
Bernadette Bauer
atWenn Pferde ebenso mit ihren Menschen herum schümpfen und brüllen könnten wie diese es mit ihren Pferden tun, dann wäre endlich Ruhe und Frieden in den Stallanlagen. Pferde können sich leider nicht trennen vom Menschen, umgekehrt schon. Ich bin mir sicher die Trennungsrate von den Pferden aus wäre um ein vielfaches höher gelegen, wenn dies möglich wäre.
Ein sehr guter Artikel. Vielen Dank für die offenen Worte. Er ist noch viel zu höflich und zart bestückt.
Tanja
atHarte Worte erreichen Menschen nicht 🙂 Jeder von uns trägt das Gute in sich und irgendwo sehnt sich die ganze Welt nach Harmonie. Manchmal aber ist das alles eben verschleiert durch Erfahrungen, die man selbst gemacht hat oder eben das Weltbild, das wir vor Augen haben. Aber ein guter Ansatz deinerseits: „Die Trennungsrate von den Pferden aus wäre um ein vielfaches höher gelegen, wenn dies möglich wäre.“ Wir sollten uns alle ständig hinterfragen, ob wir als unser Gegenüber, unsere eigene Gesellschaft schätzen könnten. Allerliebste Grüße an dich und danke für diese wichtigen Gedanken, liebe Bernadette 🙂
Regina
atIch habe nachgedacht grade. Über mein Pony. Was ich über sie sagen kann ist, sie ist immer ehrlich. Als ich sie bekommen habe war sie total verängstigt. Ihr muss etwas geschehen sein. Also haben wir ihr Zeit gegeben. Jeden Tag war ich, und als Pony ruhiger wurde auch meine Tochter, mit ihr zusammen. Nie mit Druck. Mit der Zeit hat sie sich immer mehr angeboten, irgendwann hat sie die Hufe gegeben ohne zu keilen, ist nicht mehr bei jedem Geräusch zusammengezuckt, konnte man sie trensen. Am Boden ist sie bald auch ohne jeden Strick gefolgt. Irgendwann durfte sich meine Tochter auf sie setzen. Nach nur 2 Jahren ist sie dann von sich aus losgelaufen, seid dem akzeptiert sie einen Reiter. Jetzt steht sie in einer Paddocktrailhaltung immer draussen, nur ein offener Stall für die Herde. Sie ist entspannt und von Angst keine Spur mehr. Wir sind jeden Tag dort. Manchmal begrüßen wir uns nur, oder putzen sie, oft gehen wir gemütlich durch den Wald, manchmal reitet meine Tochter mit einer Freundin aus. Bald wollen wir auf einem Reitplatz üben, Bahnfiguren und Temopwechsel. Aber ersteinmal langsam. Wozu Druck oder Eile? Der Weg ist das Ziel. Mein Pony ist weder stur noch bockig oder zickig. Sie sagt einfach wie ihr ist und wenn sie, was selten vor kommt, keine Lust hat und lieber bei ihrer Herde bleiben möchte ist das auch ok. Ich finde es immer sehr nett von ihr, dass sie dennoch zu uns kommt um hallo zu sagen, sich ihren Krauler abholt und uns mit ihrer Lippe kitzelt. In ihr ist nichts böses. Sie lässt uns Mensch sein, bei ihr sind wir ausgelichen und zufrieden. Sie darf Pferd bleiben und vieleicht ist sie darum so lieb und tut was wir möchten. Sie vertraut uns, ein tolles Gefühl. Wir vertrauen ihr. Als wir uns entschieden haben, dass wir sie nehmen und sie nicht 5jährig und gesund geschlachtet wird, wusste ich nicht ob sie reitbar wird. Aber das war nicht wichtig. Meine Tochter und ich lieben Pferde. So oder so würde sie bei uns alt werden, das war klar. Wir sind nicht reich aber dafür verzichten wir gerne auf den Jahresurlaub. Der ist beim Pony auch viel schöner verbracht.
Wenn ich mein Pony bewerten müsste hm….
Sie ist vollkommen wie sie ist.
Liebe Grüße
Tanja
atWie schön! Danke, dass du eure Geschichte hier erzählst! Und nochmal danke, dass es Menschen wie dich gibt! <3
Lydia Strewe
atWir haben im Dezember 2014 einen fünfjährigen Quarterwallach gekauft, der sonst definitiv beim Schlachter gelandet wäre. Er kam ursprünglich aus einer renommierten Zucht. Kurz bevor diese mit dem Veterinärsamt geschlossen wurde, haben Geldmacher ihn und weitere Pferde für einen Appel und ein Ei rausgekauft um ihn schnellstmöglich gewinnbringend zu verschachern. Der arme Kerl stand wochenlang im hohen Norden ohne Unterstand, ohne Heu auf einer Koppel mit zwei Junghengsten und einer alten Stute, die noch zum Decken herhalten musste, noch mal Geld machen… Er war 14 Tage vor Kauf ohne Narkose, nur mit Nasenbremse kastriert worden um Geld zu sparen und für den Fall, dass doch nur der Schlachter blieb. Er war Haut und Knochen, als wir ihn mitnahmen, Bockhufig, Bärentatzig und hatte einen Kindskopf großen Abzess an der Kastrationswunde! Kurz darauf folgte eine Samenstrangfistel und Regenfäule, letztere über dem kompletten Körper verteilt. Er brauchte fast ein halbes Jahr, damit seine körperlichen Wunden heilen konnten, durfte in dieser Zeit nur eingedeckt raus, damit die Regenfäule abheilen konnte. Die Hufstellung ist nach nunmehr fast zwei Jahren mit Natural Hufcare deutlich verbessert und schrenkt ihn in keinster Weise ein. Ich kann ihn noch immer nicht reiten, da er wohl mit sehr viel Druck, um ihn schnellstmöglich verkaufen zu können, angeritten worden sein muss. Man hatte ihn uns bei Kauf kurz vorgeritten und auch ich saß einmal kurz drauf. Ein halbes Jahr später, nach Genesung, lies er sich nicht mehr reiten und bockte. Und dennoch ist er für mich das beste Pferd der Welt!!! Er ist hochsensibel, hochintelligent und Bernd Hackl hat mir extrem Mut gemacht! Laut ihm ist er ein Pferd, dass mit Viel Vertrauen, Respekt und Geduld mit mir durchs Feuer gehen wird! Ohne Bernd hätte ich den Mut verloren, durch ihn habe ich erkannt, das ich ein wahrhaft besonderes Pferd habe! Hätten wir ihn damals nicht mitgenommen, dann wäre er jetzt nicht mehr am Leben, denn kein anderer hätte ihn so abgemagert mit diesem Abzess und dieser Fehlstellung für den Preis gekauft! Ich habe es nicht eine Minute bereut, habe ein Pferd, das sich wie ein Hund verhält, genauso mutig, verspielt und verschmust! Ein Pferd was mir immer in die Augen schaut, mich fragt, was willst Du von mir, was soll ich tun, zeig mir wie es geht. Ein Pferd was sich meine Volvic-Flasche klaut und diese schüttelnd über die Koppel rennt, mit meinen Jungs Fußball spielt, den Besen ins Maul nimmt und damit kehrt und rießengroße im Wind wehende Plastikplahnen so spannend findet, das er auch damit spielen möchte und auf sie zurennt.