… werden wir ärgerlich.
Oft unterstellen wir Pferden, dass sie keine Lust haben, mit uns zu arbeiten. Und wisst ihr was? Das stimmt sogar. Gerade jetzt liest man überall, wie sehr sich Pferdemenschen darüber ärgern, dass die Pferdeköpfe ständig im frischen Gras verschwinden, anstatt sich auf die Arbeit zu konzentrieren.
Das Wort „Widersetzlichkeit“ hat sich in unseren Köpfen breit gemacht.
Anders gefragt: Warum ärgert uns das? Warum sind wir der fixen Meinung, dass das Pferd sich auf uns zu konzentrieren hat, wenn wir das verlangen. Hier gehen die Ideen auseinander. Aber versetzen wir uns mal ins Pferd. Wie ginge es euch, wenn nach einem langen Winter endlich die ersten Gräser sprießen und euch fröhlich zurufen „Sieh mich an, wie saftig ich bin! Ich weiß, dass du mich willst!“. Genau. Ihr würdet ebenso sofort versuchen, an das leckere Stückchen Schokolade zu kommen, wenn es vor euch liegt und ihr es unbedingt haben wollt.
Der Unterschied liegt darin, dass euch wohl niemand davon abhalten will, die Schokolade zu essen. Außer eure inneren Stimmen, die sagen, dass ihr beim Abnehmen seid? Solche innere Stimmen aber dürfen wir beim Pferd nicht erwarten. Wir wissen ja: Das Pferd lebt im Moment und im Moment spricht eben das Gras lauter als ihr.
Natürlich könnt ihr jetzt wild am Kopf zerren, das Pferd schimpfen oder ihm einen Klaps mit der Gerte verpassen. Was aber, wenn ihr versucht, Kompromisse einzugehen, die Idee des Pferdes anzunehmen und etwas weniger Erwartungen anzustellen?
Hier wieder eine kleine Geschichte:
Ich habe ein Pferd kennen gelernt. Dieser Wallach soll mit mir arbeiten. Weil ich es will, nicht weil er sich dafür entschieden hat. Ich begrüße ihn also freundlich auf seiner Weide, lege ihm das Halfter an und führe ihn zum Stall. Dabei versuche ich, meinen Fokus auf ihm zu behalten bzw. ihm meine volle Aufmerksamkeit zu widmen.
Wir müssen geben können, was wir verlangen.
Dann wird gestriegelt. Vorsichtig, wir kennen uns ja nicht. Ich weiß nicht, ob er irgendwo empfindlich ist, ob ihn die Bürste vielleicht kitzelt, oder ihm ein zu festes Striegeln eventuell Schmerzen bereitet. Dabei beobachte ich ihn genau und kann feststellen, dass er etwas unruhig ist und seine Augen und Ohren die ganze Umgebung abchecken. Und hier führen wir uns wieder ins Bewusstsein, dass ein Pferd nicht in der Lage ist, sich auf nur ein Detail zu konzentrieren, die Umgebung und was in ihr passiert, ist ebenso präsent wie wir, die wir gerade am Striegeln sind.
Das Pferd ist sauber. Bemerken konnte ich, dass er links am Rücken etwas empfindlich auf Druck reagiert. Außerdem bevorzugt er es, wenn man das Auskratzen beim vorderen rechten Huf anfängt, dann rechts hinten, links vorne und abschließend links hinten säubert. Wie mag euer Pferd das am liebsten? Hat es empfindliche Stellen am Körper?
Ab an die Arbeit! Weil ich das will!
Den Kappzaum habe ich vorausschauend bereits beim Roundpen platziert und führe den Wallach in den eingezäunten Bereich. Hinter mir den Eingang zugehängt, das Pferd vom Strick befreit. Was passiert? Er wendet sich direkten Weges den einzelnen Grashalmen zu, welche aus dem Sandboden wachsen. Mich beachtet er nicht. Bzw. nur dann, wenn ich ihm zu nahe komme. Dann weicht er mir aus und flitzt zum nächsten Grashalm.
Zeit für mich, die Lage zu analysieren: Der Wallach ist mit mir, einem neuen, unbekannten Menschen in einem Roundpen eingesperrt. Dass er nicht sofort freudig fragt, was wir jetzt vorhaben und was ich alles von ihm verlangen werde, sollte mir klar sein. Ebenso klar war seine Gier auf das Gras. Die Weiden bieten derzeit nur wenig köstliches Grün, die Verlockung, außerhalb dieser Gras zu erhaschen also umso größer. Dazu ist der Herr sehr vorsichtig und reserviert. Sein gutes Recht, er kennt mich nicht und kann mich und mein Tun nicht einschätzen. Immerzu ist er am Scannen, was in seiner Umgebung passiert, immer auf der Hut, falls eine Flucht nötig ist. Und die hält er tatsächlich ab und an für angebracht.
Gut Ding braucht Weile! Und wir Menschen mehr Ideen.
Mein Ergebnis dieser Analyse: Gut, Freund Pferd. Ich nehme deine Idee an. Du hast endlich die Gelegenheit, etwas zu grasen, das sollst du genießen. Außerdem hast du so gleichzeitig die Möglichkeit, mich etwas kennen und einschätzen zu lernen. Wir werden sehen, was sich aus unserem ersten Zusammentreffen ergibt. Lass dir Zeit. Nichts muss von heute auf morgen passieren.
Ich platziere mich also in der Mitte des Roundpens und warte. Erwartungslos und ohne irgendwie Druck aufs Pferd auszuüben. Dabei aber offen, positiv und freundlich eingestellt. Ein Pferd kann fühlen, wenn ihr ärgerlich seid. Es erkennt kleinste Nuancen an fordernder Körperhaltung und hat euch immer im Blick. Eine Eigenschaft, die wir nicht besitzen. Pferde merken, was rund um sie passiert und lassen sich dabei nichts entgehen, auch wenn der Blick gerade nicht auf euch gerichtet ist, weiß es genau wo ihr seid und wie ihr euch verhaltet.
Bist du so weit, den nächsten Schritt zu gehen?
Auf meinen späteren Versuch, neben ihm zu sitzen und drauf zu warten, dass er die Gräser ganz nah bei mir aufnimmt, antwortet er mit einem Ausweichen seinerseits. Er ist noch nicht so weit, ich entferne mich wieder. Ja, ihr lest richtig. Ich beharre nicht auf mein Recht, diesen Platz zu nutzen, sondern gebe ihn für das Pferd frei. Schon klar, dass ich so kein Pferd dominieren kann, will ich aber garnicht. Ich will, dass mich das Pferd positiv verknüpft, dass es keine Angst vor mir hat. Dass es die Vorsicht mir gegenüber umkehrt in Neugier.
Und ich sollte belohnt werden: Der Wallach wendet sich vom Gras ab und besucht mich in der Mitte, wo ich sitze und warte. Nein, das bedeutet nicht, dass ich ihn nun so weit habe, dass wir zu meiner Idee übergehen ;). Das heisst nur: Ich freue mich über den Besuch und bedanke mich für sein Vertrauen. Dann geht er wieder grasen.
Wenn Ideen sich ändern
Und meine Idee hat sich völlig geändert: Ich möchte heute nicht mehr am Kappzaum mit ihm arbeiten. Stattdessen ist mein Wunsch nun, dass er mir etwas Vertrauen schenkt und zu versucht, sich etwas fallen zu lassen und zu entspannen. Er soll sich also in irgend einer Form auf mich verlassen.
Es folgen zwei weitere Besuche seinerseits. Als er sich das dritte Mal abwendet, bitte ich ihn körpersprachlich (nein, ich zerre an keinem Strick, hat ja keinen dran, das Pony), ob er sich umentscheiden kann. Tut er. Er reagiert und bleibt stehen. Die Gelegenheit, ihn sanft zu kraulen, ruhig auszuatmen und ihm eine Idee von Ruhe zu geben, die er gerne annimmt. Dann ziehe ich mich zurück. Er grast wieder.
Mit Vertrauen fängt die Arbeit an.
Es vergehen weitere Minuten und ich frage, ob er nun offen ist für meine Ideen. Wir platzieren uns mittig am Paddock, ich streiche ihm über den Hals. Dann über den Rücken und die Krupp. Dabei bin ich selbst ganz ruhig und schaffe so eine angenehme Atmosphäre für uns beide. Er ist immer noch sehr mit seiner Umgebung beschäftigt. Das ist ok, ich kann nicht verlangen, dass er sich bei mir sicher fühlt. Dann senkt er den Kopf und schnaubt ab. Der Zeitpunkt um sich zu bedanken. Nicht das Pferd, sondern ich. Es ist nicht selbstverständlich, dass er sich auf mich einlässt. Ganz und gar nicht.
Für ihn tatsächlich ein Zeichen, dass ich es gut mit ihm meine. Sichtlich entspannt steht er nun neben mir und genießt die Ruhe. Dass ich ihn anschließend noch bitte, ein paar Schritte gemeinsam mit mir rückwärts zu gehen und mit gesenkten Kopf anzutreten, war nicht notwendig, fühlte sich aber richtig an.
Das anschließende gemeinsam Grasen (keine Sorge, ich hab ihm kein Gras weg gegessen) beendete unser erstes Zusammensein. Weder meine noch seine Idee haben sich komplett durchgesetzt. Meine eher gar nicht. Aber ist das wichtig? Wichtig ist eine gute gemeinsame Zeit und ein beiderseitiges Wohlfühlen. Das haben wir geschafft. Und das ist mehr als genug.
Warum erzähle ich euch das? Weil wir Menschen uns immer wieder zu wichtig nehmen und dabei die Bedürfnisse der Pferde übersehen. Wie gesagt, hat sich das Wort „Widersetzlichkeit“ viel zu präsent eingeschlichen. Unser Pferd will uns nicht schaden, es will uns nicht ärgern, in dem es nicht immer unserer Meinung ist. Es IST einfach. Das sollten wir auch manchmal 🙂
Zusammengefasst bedeutet das für uns:
- Auch, wenn unser Pferd während der Arbeit zwischendurch abgelenkt ist, oder sich lieber kurz nicht mit uns beschäftigten will, dürfen wir das zulassen. Wir müssen nicht darauf beharren, dass das Pferd bei uns bleibt. Wir dürfen akzeptieren, dass es sich eine Auszeit nimmt.
- Wir können diese vom Pferd eingeräumten Pausen für uns und unsere Achtsamkeit nutzen. Warum lassen wir nicht einfach für ein paar Minuten unsere Gedanken schweifen, versuchen einzelne Vorkommnisse um uns herum zu fokussieren (Hörst du die Vögel zwitschern? Weht der Wind? Aus welcher Richtung kommt der Wind? Kannst du den Blick deines Pferdes verfolgen? Was hat es im Moment im Fokus?).
- Lass deinem Pferd diese kleinen Pausen und freue dich anschließend umso mehr, wenn es guter Dinge und motiviert zu dir zurück kommt um zu fragen, was ihr nun gemeinsam vorhabt!
Nadja hat hier noch einen sehr passenden Artikel verfasst.
Allerliebste Grüße an euch!
7 Comments
Saskia
atHallo Tash,
ich hatte Dir letzte Woche mal einen Kommentar auf Deiner „Wer sind wir Seite“ geschrieben, befürchte aber, dass ich mich nicht als Nicht-Roboter identifiziert habe 😀 Ich wollte eigentlich nur mal „hallo“ sagen, so als neue Pferdebloggerin.
Ich muss zugeben, dass ich Deinen Blog vorher gar nicht kannte, aber jetzt schon viele spannende Artikel gefunden habe und mir vor allem Dein gefühlvoller Schreibstil sehr gut gefällt…so auch bei diesem Artikel.
Letzte Woche hat bei uns die Weidesaison begonnen und bei mir ist es so, dass ich mich überhaupt nicht über mein Pferd ärgere. Ich würde ja auch nicht vom gedeckten Tisch weg wollen, v.a. wenn ich keine Rezeptoren fürs Sättigungsgefühl hätte. 😉 Aber mich hat es traurig gemacht, dass mein Pferd, das sonst immer freudig ankam, mir keine Beachtung mehr schenkt und nur mal eben den Kopf hebt. Ich glaube einfach ganz fest daran, dass sich das wieder ändert, wenn die erste Euphorie vorbei ist.
Ich denke, das erste Zusammensein mit dem neuen Wallach hast du wunderbar für ihn gestaltet und so sollte es auch ganz unabhängig, ob nun Weidesaison ist oder nicht, doch sein. Du hast ihm einfach zugehört und das war bestimmt viel mehr wert als dem Plan zu folgen.
Viele Grüße
Saskia
Nadja
atWir haben einen neuen Isi im Stall. Ich hab den gestern von der Koppel reingeholt. Gehe also hin, warte, bis er schaut, und hole mir die Erlaubnis, ihn anzufassen (sprich: ich Strecke die Hand aus, er er berührt sie). Halftere, führe, alles perfekt. Aber obwohl ich den Eindruck hatte, mich sehr höflich und adäquat verhalten zu haben, war er unheimlich reserviert/skeptisch. Das hat sich dann so geäußert, dass er zusammenzuckte, wenn ich mal gestreift oder auch direkt angefasst habe. Da ich nicht mit der Tür ins Haus falle, glaube ich, dass der ein sehr sehr sensibles Pferd ist – der von Fremden nicht angefasst werden will (aber zu höflich ist, sich stärker zu wehren).
Tash
atSchön ist ja für den Isi, dass er mit dir jemanden getroffen hat, der sieht, was in ihm vor geht 🙂 Daran können sich viele „Pferdeleute“ ne Scheibe abschneiden.
Christina
atWenn ich ein neues Pferd reite mache ich das auch immer so. Erst mal nichts wollen, einfach nur gucken und beschnuppern, sich gegenseitig kennen und einschätzen lernen. Man kann so viel über den Charakter eines Pferdes erfahren wenn man nicht gleich mit der Tür ins Haus fällt, sondern sich einfach mal ein bisschen zurücknimmt, achtsam ist und beobachtet.
Ich glaube viele Probleme können vermieden oder viel passender adressiert werden, wenn man weiß mit welchem Charakter man es zu tun hat.
Und stur das durchziehen, was man geplant hat, auch wenn es nicht passt, ist einfach nur dumm. Hab da letztens ein schönes Beispiel gehört: Wenn ich geplant habe einkaufen zu fahren und komme aus dem Haus und sehe, dass mein Auto einen platten Reifen hat, dann werfe ich meinen Plan um und repariere erst mal den Reifen. Ich glaube zu viele Pferdemenschen fahren mit platten Reifen zum Einkaufen 😉
Liebe Grüße,
Christina
Sebastian
atEine schöne Art, mit einem Pferd umzugehen.
Beim „gemeinsam grasen“ konnte ich mich aber nicht gegen das Bild wehren, wie ihr beide im Roundpin nebeneinander das frische Grün genießt 🙂
Tash
atwitzig 😀 genau den Satz hab ich von Themi auch gehört 😛
Marleen
atAber wenn ich ihn einfach grasen lasse merkt er sich das doch und wir kommen nie zum arbeiten..:/